Sonntag, 29. April 2012

Austin, Piraten, Postsecret

In der letzten Zeit bin ich in der priviligierten Lage einem neuen Blog beim Entstehen und einem Blogger bei der fiebrig-freudigen Auseinandersetzung mit dem Wunder der tausend Ideen, die per "Publish" in die Welt gestossen werden können, zuzusehen. Den Enthusiasmus, der einen dazu bringt, an einem Sonntag 6:30 Uhr mit dem Notieren der neuesten Posting-Ideen in den Tag zu starten, teile ich nicht, gleichwohl weckt es die alten, schreibmüden Bloggergefühle und sorgt für ein Aufbegehren, nur noch einmal die gleiche Freude am Schreiben und am Entfalten der eigenen Ideenwelt zu erleben wie am Anfang, als man noch so begeistert über verkaterte Neujahrsmorgen und prominente Doppelgänger schreiben konnte. Man könnte sagen, ich bin Al Pacino in "Der Geruch der Frauen", nur dass die Frauen Blogs sind und ich nicht blind sondern schlichtweg faul und desillusioniert. Wer das Gegenstück zu Chris O´Donnell in dieser Analogie ist, dazu gilt es Schweigen zu bewahren, denn wer will schon mit dem sidekickstigen aller Batman Sidekicks verglichen werden.

Was gibt es zu verbloggen? Da wäre die kürzlich angetretene Reise zur SXSW Interactive 2012 nach Austin. Schon um Weihnachten letztes Jahr herum erhielt ich Nachricht, dass ich für die NZZ zu einer der grössten Netzveranstaltungen der Welt reisen dürfte. Und das mir, die sich seit Jahren hochnäsig vorm Besuch der re:publica drückt, in erster Linie, weil schon der Anblick der wartenden Crowd auf den Treppen vorm Veranstaltungszentrum meine Lust vergehen liessen (zu den grossen Standortvorteilen des Netzes gehört doch gerade, direkten menschlichen Kontakt zu Gunsten von Errungenschaften wie Tiervideos und Pornographie aufzugeben). Ausserdem waren da die einschlägigen Tweets von Ex-Handelsblattredakteuren mit verdrahteren Ambitionen gewesen über auf der #rp10 verfügbare Erfrischungsgetränke, die das Gefühl gäben, man sei ja gar nicht mehr in der "Zone".
 
Texas also. Soweit kommen die deutschen Netznasen nicht, dachte ich*. Mit der freundlich-kollegialen Aufmunterung, ich sei "dritte Wahl" - die Tickets waren ursprünglich für andere Teilnehmer gekauft worden, die nun aufgrund organisationeller Verpflichtungen nicht mehr fahren konnten - und der Bitte einer meiner besten Freundinnen, ihr J.R. Ewing Devotionalien wie eine Plüsch-Leber mitzubringen, verliess ich Zürich. Und landete in einer unerwartet liberalen, urbanen Geek-Metropole: Bis unters Dach mit Festivalbesuchern ausgebucht, voller Fahrradrikschas, freien W-Lan, ironischen T-Shirt-Beschriftungen mit Metaebene, Live-Musik aus allen Bartüren bis in die Nacht und koreanisch-texanischen Foodtrucks, kurzum "Endlich normale Menschen".

 Capitol, wacklig.

Das Beste von Austin kam zum Schein, als nach zwei Tagen Dauerregen die Sonne durchbrach und all diejenigen, die ihre kaugummibunten Tops und die "Highlight"- Giveaway-Sonnenbrillen ausführen wollten genau dies tun konnten: Auf den Strassen der Innenstadt, vor den Foodtrucks zwischen Hochhäuserzeilen, in den Sponsorzelten auf durchweichtem Gras, auf für Autos gesperrten Strassen feierten wir ein Fest. Und Ja, es ging immer wieder ums "nächste grosse Ding" nach Twitter und Oh my god, did you see this app, that´s so awesome, aber hey. Genauso lag ein Riesenhaufen Legosteine im Tagungszentrum an dem sich zwei Dutzend Menschen mit Festivalbändchen stundenlang abarbeiteten.
Arbeitsort: Hotelterasse Downtown Austin.


Und genauso seufzten 3000 Leute bei einer der Postsecret-Präsentationen von Frank Warren. Der Blog, der jeden Sonntag Postkarten mit Geheimnissen in die Welt trägt und mein Credo zum gerade momentan wieder durchgehechelten Sujet des Netzexhibitionismus geformt hat: Scham und Angst machen klein und lähmen.  Teilen hilft. Wer (mit)teilt, was ihm Angst macht oder von dem er denkt, dass es ihn zum Pariah macht, der wird das Netz als Ort finden, an dem es andere gibt wie ihn. Der wird seine Scham überwinden können. Der Haken an der Sache ist, dass das Netz keinen Filter der gesellschaftlichen Wünschenswertheit** vor Publikationen setzt. Pro Ana-Freunde finden Gleichgesinnte, genau wie dies die Menschen tun, deren grösste Scham ist, gern unter der Dusche zu pinkeln. Das Netz ist kein Richter. Es legt die Aufgabe, zu richten, in die Augen seiner Nutzer. Das Feststellen der Delegation der Pflicht sollte 2012 eine Banalität sein, ist es aber nicht, wenn man mal alle diejenigen fragt, die ihr Geld damit verdienen, denen, die das Netz nicht nutzen, zu erklären, dass es sich bei "diesem Internet" nicht um das Ende der Welt handelt.

Genau das kam mir auch wieder in den Sinn, als ich den Versuch, die Piratin Julia Schramm politisch zu vernichten - als nichts anderes kann meiner Meinung nach der Artikel von Melanie Mühl in der FAZ von vorgestern gelesen werden - las: MM macht sich zum Richter des Blogs und des Twitterfeeds von JS. Sie verurteilt aber nicht, dass JS diese Kanäle nutzt. Was M. Mühl suspekt ist, ist der "Ich-Roman", den Blog und Twitter bilden, sie kritisiert das "Wie". Sie will nichts mitgeteilt bekommen, keinen mäandrierenden Meinungsbildungsprozess, keine Befindlichkeiten. Nichts Menschliches soll aus den Kanälen eines politisch Agierenden kommen. Dabei sind es genau der "Exhibitionismus" und auch die Widersprüche, die online geäussert werden weil der Kanal das leichte Mitteilen nahe legt, die eine Chance sind für unsere Sicht auf Politiker: Sie erleichtert Rechenschaft. Und sie geben den Blick frei darauf, wo die Grenzen zwischen Parteilinie und persönlicher Überzeugung verlaufen.

Die Augenhöhe, dieses strapazierte Wort: Sie ist denen suspekt, die sozialisiert sind in einer publizistischen Welt des Verlautbarens statt des Diskurses, denjenigen, die ihr Selbstbewusstsein daraus ziehen, dass ihr Inhalt unter "Artikel" steht und nicht unter "Kommentar" oder "Blog Post". Ein Politiker, der so kommuniziert - widersprüchlich, menschlich, chaotisch, nachvollziehbar, privat, professionell, alles in einem Kanal: Der kann ja nicht zurechnungsfähig sein. Den muss man lächerlich finden. Denken sie. Verurteilen des Heilsversprechen durch eine diskursive Öffentlichkeit im Netz während sie es in Offline-Kanälen selbst für sich in Anspruch nehmen.

Über die Art, die die FAZ die Piraten nutzt (oder läuft es umgekehrt) um Profil zu gewinnen, denke ich derzeit allgemein viel nach. Ich frage mich, warum man JS verreisst, Marina Weisband ein Blog gibt, Christoph Lauer einen Gastbeitrag anbietet. Ich frage mich, ob die Transparenz der Piraten und ihre damit auch öffentlich leicht ablesbaren Animositäten zum Nachteil gereichen wenn sie wie Marionetten von einem Medium je nach verteilter Rolle - Widersprüchlicher Vieltwitterin,  optimistischer Antitroll-Idealistin, schambefreiter Lautsprecher - je nach Lust und Laune als Trafficmaschinen angeheuert werden. Ich frage mich, ob sie miteinander sprechen, die Protagonisten des Theaterstücks, dass einzig und allein faz.net Profil bringt weil man auf Leserschaft derer spekuliert, die sich mit den Piraten beschäftigen - nicht zwingend die gleiche Gruppe, die ein Jahresabo der gedruckten Ausgabe für 540 Euro erstehen würden. Ich frage mich, was die von Schirrmacher gekaperten Piraten einander erzählen. In den DMs. Und dann warte ich einfach auf die nächsten Tweets und denke es mir.

Was soll das heissen? Dass online gut ist. Aber dass es Fallstricke mit sich bringt, eben nicht miteinander zu sprechen, vor allem wenn man eigentlich ein gemeinsames Ziel verfolgt. Dass der Fakt, dass jemand twittert, ihn nicht zu einem schlechten Politiker macht. Dass der Fakt, dass jemand keine Korrekturschleife für seine Online-Kommunikation benutzt und man das beanstandet mindestens genausoviel aussagt über den, der richtet wie über den, der gerichtet wird. Und, dass meine Fähigkeit, einen langen, kohärenten Blogpost an einem sonnigen Sonntagnachmittag zu verfassen, begrenzt ist. Glücklicherweise is das nicht weiter schlimm, es hat Platz und Zeit für mehr. All the news thats fit to blog are way more than all the news that fit to print. Aber wem sage ich das.

*und irrte - aber immerhin blieben sie unter sich - siehe der eigens angemietete Foodtruck von Menschen im Online-Geschäft aus Hamburg, der nur per Gästeliste zu betreten war und entsprechend dann auch nur von Hamburgern, die sich in Hamburg auf die Gästeliste hatten schreiben lassen, besucht wurde. Way to go, Reeperbahn! Für Sektierertum und Fischklüngel lohnt der Flug über den Atlanktik.

**das Tolle an Blogs ist ja, dass man genau solche zweifelhaften Wörter beutzen kann. "Wünschenswertheit" passiert genau ein Korrektorat auf dieser Welt und zwar das in meinem Hirn.

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